Tierkadaver als Habitat und sekundäre Nahrungsquelle der Zauneidechse (Lacerta agilis agilis)


Tierkadaver als Habitat und sekundäre Nahrungsquelle der Zauneidechse (Lacerta agilis agilis)

RALF JAKOB, 2012


Zusammenfassung
Im Frühsommer des Jahres 2007 beobachtete ich auf einer Wiese im Wahnbachtal, einem Seitental der Sieg in Nordrhein-Westfalen, Zauneidechsen, welche sich auf dem Kadaver eines verendeten Rehes sonnten und dort auf Jagd gingen. Wanderverhalten der Art, eine bemerkenswerte Habitatstruktur, sowie eine außergewöhnliche Nahrungsquelle sollen hier beschrieben werden.

Einleitung
Im Frühsommer des Jahres 2007 fand ich in einem von Zauneidechsen (Lacerta agilis agilis) in Randbereichen besiedelten Tales inmitten einer Feuchtwiese, den Kadaver eines Rehs, welches augenscheinlich auf dieser Wiese im voran gegangenen Winter verendet war. Die Wiese wies eine mittlere Wuchshöhe von etwa 40-50cm auf, was für die Ansprüche der Zauneidechse einen eher untypischen, da sehr schattigen und feuchten Lebensraum darstellt. Im Umland der Wiese waren zudem überwiegend andere, besser geeignete Habitatstrukturen vorhanden. Eine stabile Population von schätzungsweise 250 Individuen ist in diesem Tal beheimatet.

Abb. 1: Stark verwester Kadaver eines Rehs auf einer Wiese und Zauneidechse beim Sonnenbaden (roter Kreis).

Ich möchte nun meine Beobachtungen schildern, welche ich an diesem Kadaver machen konnte und welche mich zum einen überrascht haben und zum anderen die Lebensweise der Zauneidechse um eine weitere Strategie erweitert.


Erläuterung
Am 03.Juni 2007 streifte ich durch eine naturnah bewirtschaftete Wiese um mir deren Pflanzenbestand anzuschauen, als ich in der Mitte dieser Wiese auf den Kadaver eines Rehes stieß. Die Witterung war an diesem Tage leicht bewölkt und die Sonne schien zeitweise durch die Lücken der Wolkendecke. Die Temperatur lag um 11 Uhr bei etwa 22°C im Schatten und die Luftfeuchte betrug etwa 60%.
Der aufgefundene Kadaver bestand zu diesem Zeitpunkt lediglich noch aus den Knochen des Tieres der Felldecke sowie einigen vermodernden Fleischresten im Bereich des Rumpfes. Zum Teil waren die Knochen, insbesondere der Schädel freigelegt. Die Haare der Felldecke waren größten Teils ausgelöst und sammelten sich im Randbereich des Kadavers. Natürlich roch es dem entsprechend unangenehm stark, so das man den Kadaver schon aus etwa 10m Entfernung und bei an diesem Tage herrschender Windstille, gut ausmachen konnte.
Der Kadaver wurde naturgemäß von den üblichen aasvertilgenden Insekten besucht, wie verschiedenen Schmeißfliegen (Calliphoridae), Asskäfern (Silphidae) und Asseln (Isopoda). Verschiedene Stadien der Fliegenmaden waren unmittelbar unter und am Rande der Haut des Kadavers auszumachen.
Bei meiner Begehung fand ich überraschender Weise neben den genannten Insekten, ein gut genährtes Zauneidechsenweibchen welches sich offenbar beim Sonnenbaden befand. Der Kadaver bildete die einzige Möglichkeit innerhalb der Wiese um der Echse Gelegenheit zu geben, sich ausreichend zu erwärmen. Die übrige Wiese war bis auf einen Holzstapel in etwa 20m Entfernung, zum Sonnenbaden ungeeignet, da sie lückenlos mit hohen Gräsern und krautigen Pflanzen bewachsen war. Der Umstand, dass ich in dieser Feuchtwiese keine Zauneidechse erwartet hatte, machte mich neugierig und veranlasste mich dazu, dieses Weibchen an diesem Tage und im Laufe der nächsten Woche weiterhin zu beobachten.

Abb. 2: Adultes Zauneidechsenweibchen beim Sonnenbad auf dem Haaren des Rehkadavers.

Das Weibchen schien vital und gut genährt zu sein. Es nutzte zum Erwärmen die Perioden in denen die Sonne die Wolken durchbrach, verschwand aber auch nicht, wenn sich Wolken vor die Sonne schoben, sondern verharrte bis zum nächsten Sonnenphase, um sich weiter aufzuwärmen. Dabei lag das Tier vorzugsweise am Rande des Kadavers, wo es die ausgefallenen Haare als Unterlage benutze. Da die Fellhaare auch nach einer Flucht und erneuter Wiederkehr des Tieres wieder aufgesucht wurden und auch ein später dazukommendes Männchen diese Unterlage nutzte, ist eine zufällige Annahme der Haare als Unterlage nahezu auszuschließen. Als Grund für die Bevorzugung dieser Unterlage kommen meines Erachtens die isolierende Eigenschaft der Haare gegenüber der Bodenfeuchte bzw. -temperaturen in Frage, aber auch die Eigenschaft der dunkelbraunen Haare, die Sonnenstrahlen besser aufzunehmen und in Wärme umzuwandeln.
Gleichzeitig konnte ich beobachten, dass die Echsen die Insekten jagten, welche durch den Kadaver angelockt wurden, bzw. welche sich in Ihm entwickelten. So zeigte sich, dass das Männchen, welches sich erst in der letzten Woche meiner Beobachtungen einfand, aktiv anfliegende Schmeißfliegen zu jagen begann und selbst an den Fleischresten nagende Asseln aufnahm. Auch das Weibchen wurde bei der Jagd auf Fliegen beobachtet, nahm aber auch Fliegenmaden auf, welche sich im Kadaver entwickelten und zufällig zum Vorschein kamen. Sobald Gefahr auftauchte verschwanden die Tiere entweder in der umliegenden Wiese, flüchteten aber auch unter die durch die Rippen wie ein Zelt aufgespannte Haut des Rehes.
In Anbetracht der Beobachtungen der jagenden Zauneidechsen nach Insekten, welche entweder von dem Kadaver zehren (Asseln, Aaskäfer) oder Ihn als Nahrungsgrundlage für die Nachkommen nutzen (Schmeißfliegen) sowie die direkte Aufnahme von sich im Kadaver entwickelnden Larven der Schmeißfliegen (Maden), ist somit nachgewiesen, das Zauneidechsen Kadaver primär zur Thermoregulierung, als Wohnraum und als Jagdrevier nutzen und sekundär von ihm ernährt werden können (Maden).

Abb. 3: Adultes Zauneidechsenmännchen beim Sonnenbad und nagende Insekten am Knochen des Kadavers.


Schlussbemerkung
Auch wenn sich dieses Habitat sehr schnell verändert und innerhalb eines dreiviertel Jahres lediglich die Knochen übrig geblieben sind, kann der Laichnahmen des Rehs als temporärer Wohnraum und sekundäre Nahrungsquelle benannt werden. Gleichzeitig zeigt es, das Zauneidechsen nicht nur großflächige Offenlandbereiche bewohnen sondern auch durch größere, geschlossene Wiesen wandern und geeignete Habitate innerhalb dieser ansonsten für die Art nicht sonderlich attraktiver Bereiche, bewohnen kann. Auch weist das in diesem Fall aktive Durchstreifen von dicht bewachsenen Wiesen darauf hin, das Zauneidechsen wohlgleich auch in der Lage zu seien scheinen andere Habitate zu erreichen, indem sie für sie völlig ungeeignete Lebensräume (hier Feuchtwiese) direkt durchqueren. Die Zauneidechse ist also nicht ausschließlich auf geeignete Strukturen (wie Bahndämme, Wald- und Wegsäumen) angewiesen, um neue und geeignete Habitate erreichen zu können.

Verfasser: RALF JAKOB, Krummer Weg 11, D-53773 Hennef / Sieg,
Email: ralf.jakob1@gmx.de